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Kuppen, Hörner, Kletterstellen - über den Kamm der Roháče

(Karpatentour Juli 2011 – Slowakei)

Inhalt

  1. Sankt Nikolaus in der Liptau
  2. In die Berge
  3. Panoramawege
  4. Spaziergang im Nebel
  5. Über Kuppen und Grate
  6. Auf's Horn genommen
  7. Informationen

Baníkov, Tri kopy und Ostrý Roháč waren nicht zuletzt drei gute Gründe, noch mal wieder zu kommen.

„Tatras Westen – 2. Teil: Slowakei (Karpatentour Oktober 2010)“

Und genau das tat ich. Es hatte mich schon gekratzt, den Kamm des Roháče-Massivs, den alpinsten Teil der Westtatra, nicht gelaufen zu sein. So nutzte ich die vergangenen 9 Monate, um mich fit zu machen. Kletterte über Porphyrkonglomerat des Batterts im Schwarzwald, über Sandsteinfelsen im Elsass und über die Kalkgrate der Aiĝuilles de Baulmes im Schweizer Jura. Nun stand ich zusammen mit Helga vor dem erneuten Versuch einer Wanderung über den Kamm der Roháče.

1. Sankt Nikolaus in der Liptau

Fast 20 Stunden Zugfahrt steckten uns in den Knochen. Ich hatte schon angenehmere Zugreisen erlebt: Einige Klos waren verstopft, die Mülleimer voll und der Schaffner hatte schlechte Laune. Es war kurz vor sechs Uhr abends, als wir in Liptovský Mikuláš aus dem Zug kletterten. Es machte meiner Meinung nach keinen Sinn, heute noch weiter in Richtung Berge zu fahren, so hatte ich schon im Voraus ein Zimmer reserviert, das Hotel nannte sich „Klar“ und lag laut meiner Google-Karte am Ostrand der Stadt an der Straße des internationalen Kampf- und Feiertags der Werktätigen für Frieden und Sozialismus, oder kurz – 1. Mai.
Doch bevor wir uns auf den Weg machten, schauten wir am Info-Schalter im Bahnhof vorbei. Irgendwie mussten wir ja morgen in die Berge kommen. Die Dame hinter der Glaswand bedauerte es sehr, aber der erste Bus in Richtung Zuberec fuhr erst um die Mittagszeit gegen halb eins. Das war uns definitiv zu spät, da wollte ich ja schon einen Müsliriegel auf dem Hauptkamm knabbern.
Draußen vor dem Bahnhof warteten die Taxifahrer auf Kundschaft. Wir steuerten auf sie und einer von denen auf uns zu. Ich kramte meine Karte hervor und zeigte auf den Punkt, wo wir hin wollten: Vyšné Hutianske sedlo. Was es kosten würde? Der Mann schaute sich die Strecke auf der Karte an, überlegte, tippte irgendwas an seinem Taxameter herum und kam dann auf ungefähr 40 – 50 Euro.
Er sollte uns morgen um halb neun am Hotel Klar abholen. Ich bekam seine Visitenkarte, dann machten wir uns an die Durchquerung von Sankt Nikolaus in der Liptau. Die Läden in der Stadtmitte hatten bereits geschlossen. Überhaupt hatten wir nicht den Eindruck, dass hier das Leben pulsiert. Ein paar Leute hockten auf Bänken rund um den Stadtplatz. Aus dem Supermarkt, der hier TEMPO heißt, schlenderte eine Gruppe Jugendlicher. Wir erkundigten uns bei ihnen nach dem Hotel. Immer der Hauptstraße folgen bis zum Lidl-Schild, sagten sie. Der hätte bis acht Uhr auf.
Es stimmte, kurz hinter dem Abzweig zum Lidl-Markt erhob sich der Hotelbau zu unserer Linken. Aus dem Gebäude dröhnte laute Musik die Straße herauf, vor dem Eingang parkten Limousinen, weiße Bändchen schmückten die Motorhauben. Eins war klar im Hotel Klar, die Hochzeitsparty dürfte uns eine weniger erholsame Nacht bescheren. Immerhin bekamen wir ein Zimmer im obersten Stockwerk, da dürfte sich der Radau in Grenzen halten.
Da durch die Hochzeitsgesellschaft auch das Restaurant in Beschlag genommen wurde, holten wir uns unser Abendessen bei Lidl und zwei Büchsen Goldfasan eisgekühlt an der Tankstelle gegenüber. Mit Blick auf einen sozialistischen Plattenbau beschlossen wir unseren ersten Reisetag.

2. In die Berge

Die 3-Euro-Frühstücksbockwurst lag mir noch im Magen, als mich ein Mann an der Rezeption ansprach: „Sie wollten ein Taxi?“ Schon, nur war es zwar das gleiche Fahrzeug, aber nicht der Typ von gestern am Bahnhof. Es war sein Vater, wie sich bald herausstellte. Sein Sohn hatte Nachtschicht und seinen alten Herrn instruiert, uns in Empfang zu nehmen. Wir verstauten unsere Rucksäcke und los ging es in den Westen der Tatra-Berge. Die Sonne schien, der Himmel war blau, auf der Straße nicht viel Verkehr. Es ging vorbei am Vergnügungspark Tatralandia, wo sich bald wieder Menschenmengen in den Schwimmbädern, auf den Rutschen und Imbissbuden drängeln würden.
Bald schlängelte sich das Asphaltband in Serpentinen den Hang hinauf. Im Vyšné Hutianske sedlo, dem oberen Huty-Pass, erreicht die Straße ihren höchsten Punkt (950 m) und kurz dahinter, am Forsthaus Horáreň pod Bielou skalou, war für uns Endstation. Hier beginnt der Wanderweg über den Kamm der Westtatra, markiert mit einem roten Band.
Wir zahlten weniger als gestern veranschlagt. 33 Euro wollte unser Taxifahrer. Wir zahlten, schmierten uns Sonnenschutz ins Gesicht und auf die Arme, der Rucksack flog auf den Rücken und dem Aufstieg stand nichts mehr im Wege. Im Gegenteil, unser Aufstieg wurde penibel dokumentiert, alle 100 Höhenmeter zeigte uns ein Schild am Wegesrand, auf welcher Höhe wir inzwischen wandelten. Ich fand es frustrierend, da keucht und schwitzt man, kämpft sich ewig den Hang hinauf - nur, um nach schier endlos vergangener Zeit gezeigt zu bekommen, dass man gerade mal 100 Meter höher gestiegen ist.
Langsam lichtete sich der Hang, die Bäume traten zurück, machten Platz für Latschenkiefern, ab und zu schimmerten graue Kalksteinkuppen durch den Grashang. Je höher wir stiegen, desto felsiger wurde das Terrain. Die Kalksteinwände rückten immer enger zusammen. Wir hatten das Gefühl, in einer Schlucht zu laufen. Laufen allen reichte bald nicht mehr. Wir mussten unsere Hände zu Hilfe nehmen, die ersten Kletterpassagen stellten sich uns in den Weg. An zwei besonders steilen Abschnitten hängen Ketten. Ich zog mich an ihnen hinauf, Helga ignorierte sie konsequent. Es war zum Glück trocken, so bot der Kalk gute Griffe und Tritte. Das letzte Schild kam in Sicht: „1800 m“. Noch 5 Meter höher und wir standen auf unserem ersten Tatra-Gipfel, dem Sivý vrch (grauer Berg).
Mittagspause. Etwa 3 Stunden hatte unser Aufstieg gedauert. Die Sicht war nicht so toll, ich fand es recht diesig. „Es ist nicht diesig, da zieht ein Gewitter rauf“, meinte Helga. Ich wurde unruhig, wollte weiter. Ein Gewitter auf dem Kamm mochte ich nicht wirklich. Wir setzten unseren Weg also fort, stiegen auf der anderen Seite des Berges hinunter. Der Abstieg schien mir steiler als der Aufstieg. Stellenweise ging es über glatte Felsplatten. Im Osten, über dem Hauptkamm, hatte sich der Himmel tiefblau gefärbt. Ab und zu ließ sich ein leises Grollen vernehmen. Doch uns schien noch die Sonne auf die Rucksäcke. Hinter uns hockten immer noch Wanderer auf dem Gipfel des Sivý vrch. Ich bewunderte sie, waren sie nun besonders mutig oder einfach nur leichtsinnig? Auf dem Weg zum Sattel Pálenica änderte sich der Untergrund. Die Kalkbrocken verschwanden, an ihre Stelle traten Geröllklumpen aus Granit. Mir war's recht, nasser Granit rutschte bei Weitem nicht so unter den Schuhsohlen wie nasser Kalk.
„Es fängt an zu regnen“, kommentierte Helga, als sie die ersten Tropfen spürte. Ich bestätigte es und lief weiter. Kurz darauf fing sie an zu lachen. Verwundert blieb ich stehen. „Ich habe nur gesagt, dass es zu regnen beginnt, und schon läufst du schneller“. Ab jetzt versuchte ich bewusst langsamer zu gehen, aber irgendwie klappte das nicht. Das nächste Donnergrollen drang mir in die Ohren, ich lief schneller, Leute tauchten hinter uns auf, ich wurde schneller und der nächste Gipfel rückte in Sichtweite, ich rannte wieder. Immerhin hörte ich dann immer Helgas „Hallo, ich bin auch noch da“ und konnte wieder den Gang rausnehmen.
Die Hinweisschildchen mit der Höhenangabe ließen wir ab dem Pálenica-Sattel hinter uns. Vor uns breitete sich jedoch die Gewitterfront immer weiter aus, bis uns unterhalb des Gipfels der Brestová der erste Hagelschauer erwischte. Ab jetzt ging es abwärts, über 900 Höhenmeter. Je tiefer wir kamen, desto heftiger wurden die Gewitterschauer. Innerhalb von Augenblicken zuckten nun auch vor uns Blitze über den Bergkamm. Doch das freie Kammgelände lag bereits hinter uns, wir waren somit aus der Gefahrenzone. Der Abstieg war steil, rutschig und schien kein Ende nehmen zu wollen. Äußerlich tropfend vom Regen und innerlich vom Schweiß erreichten wir gegen halb sechs die Berghütte Chata Zverovka. Ein anstrengender aber schöner 8-Stunden-Tag lag hinter uns.
Eine heiße Dusche wartete und danach gab's Krautsuppe (Kapustová polievka), Hühnerleber und ein Goldfasanenbier. Draußen lies der Regen allmählich nach. Wir waren gespannt, wie es morgen früh aussehen würde.

3. Panoramawege

Es sah gut aus. Die Sonne schien, der Himmel war blau und klar. Leider gab es erst um halb acht Frühstück. Ich wäre gern etwas früher losgelaufen. Denn natürlich befürchtete ich, dass es zum Nachmittag wieder gewittert. Egal, wir mussten das Risiko in Kauf nehmen.
Der Anstieg hinauf zur Brestová ist steil, lief sich bergauf jedoch deutlich besser als gestern bergab bei Regen und Hagel. Bereits nach 3 Stunden standen wir auf dem Gipfel. Zeit für ein Päuschen. Ein Murmeltier hoppelte den Kamm entlang, es schien keine Eile zu haben sich irgendwo zu verstecken. Ich konnte mich nicht daran erinnern, schon mal ein Murmeltier in den Karpaten gesehen zu haben. Der Wind blies uns kalt um die Ohren, hinter einer Kuppe war es etwas angenehmer, dafür ärgerten uns Fliegenschwärme. Wir knabberten ein paar Nüsse und tranken einen Zitronensprudel mit Magnesium. Dann gingen wir den nächsten Gipfel an. Der Salatín ist der erste 2000er des Hauptkamms. Eine Gämse sprang über die Felsbuckel, unten im Tal graste seelenruhig eine ganze Gruppe. Unsere Gämsen im Schwarzwald suchten bereits das Weite, wenn sie nur meine Schritte hörten. Vergeblich hatte ich versucht mal eine vor die Linse zu bekommen, vielleicht klappte es hier wieder. Der Salatín hat zwei Gipfel, der eigentliche Salatín ist 2048 m hoch und getrennt von einem kleinen Sattel, erhebt sich der Kleine Salatín mit 2046 m. Von Letzterem hatten wir einen guten Überblick auf den Weg, der nun folgen würde.
Tief unter uns zieht sich der Skriniarky-Grat nach Osten, er endet auf dem Gipfel der Spálená (2083 m). Wuchtige Granitblöcke und Felsentürme bilden den Grat. Dort mussten wir drüberklettern. Die Kraxelei bereitete uns jedoch keine Probleme. Eine Stelle auf dem Grat wurde mit Ketten gesichert. Ein Wanderer, der einzige an diesem Tag, kam uns entgegen. Er schien ein großes Rede-Bedürfnis zu haben, schwätzte und schwätzte und ließ mich nicht zu Wort kommen. Endlich, in einer kurzen Pause, konnte ich ihm vermitteln, dass ich gar nichts verstand. Er lachte und lief weiter den Grat hinab. Ich war doch recht erstaunt, hier nicht mehr Wanderer zu treffen. Immerhin waren wir im Hochsommer, in der Hauptsaison, unterwegs. Da war letztes Jahr im Herbst deutlich mehr Betrieb in den Bergen.
Je höher wir stiegen, desto sanfter wurde der Hang, bis wir auf der mit Gras bewachsenen Kuppe der Spálená standen. Zwischen den saftig grünen Grasflecken leuchteten unzählige blaue Glockenblumen. Es war Zeit für die Mittagspause. Von hier oben sahen wir weit hinunter ins Tal Roháčska dolina, zu den Bergseen Roháčske pleso, zum Baníkov, den Tri kopy und den beiden Roháč-Gipfeln - Plačlivý und Ostrý, selbst unsere Berghütte leuchtete von unten herauf.
Noch war unsere Tour nicht zu Ende, wir mussten weiter. Zwischen dem Spálená-Gipfel und dem Gipfel der Pachoľa liegt ein kurzer felsiger Grat, den wir noch überwinden mussten. Kurz vor dem Pachoľa-Gipfel erwartete uns die letzte Kletterstelle, eine verblockte Rinne mit guten Griffen und Tritten und einer Kette, die nach oben führte. Zwar hätten wir auf einem unmarkierten Saumpfad die Stelle und damit den Gipfel umgehen können, doch den dritthöchsten Berg des Hauptkamms wollten wir uns nicht entgehen lassen.
Von dem 2167 m hohen Berg hatten wir eine phantastische Aussicht. Praktisch unsere komplette Tagesetappe breitete sich als Panorama vor uns aus. Aber auch dass, was an Herausforderungen noch in den nächsten Tagen vor uns lag, konnten wir schon mal inspizieren.
Auf einem steilen Pfad über loses Geröll stiegen wir hinunter in den Bergsattel Baníkovské sedlo. Ein scharfer Wind blies uns ins Gesicht. Für heute verließen wir an dieser Stelle den Hauptkamm. Ein gelb markierter Pfad führt durch das Tal Spálená dolina hinunter ins Roháče-Tal. Auf 1340 m Höhe weist ein Schild auf die letzte Sehenswürdigkeit am Wanderweg, den 23 m hohen Wasserfall Roháčsky vodopád. Donnernd tobt der Spálená-Bach über die Felsen hinunter ins Tal. Wir folgten dem Bach und erreichten nach insgesamt über 10 Stunden unsere Unterkunft. Das Wetter meinte es heute wirklich gut mit uns, kein Gewitter ärgerte uns am Kamm. Während wir unsere Krautsuppe löffelten, tauchte die Sonne die Roháč-Gipfel in ein warmes Abendlicht, über den Roháč-Sattel quollen weiße Wattewolken. Wir waren gespannt, wie es morgen aussehen würde.

4. Spaziergang im Nebel

Ein Blick aus dem Fenster am nächsten Morgen sagte uns, einfach noch mal ins Bett legen und auf die andere Seite drehen. Es regnete zwar nicht, doch die Berge steckten in einer dicken Wolkendecke. Da wir gestern recht lang unterwegs waren, wollten wir es heute ruhiger angehen. Nach dem Frühstück, so gegen halb zwölf, rafften wir uns dann zu einer kleinen Wanderung auf. Wir folgten der Asphaltstraße durch das Tal Látaná dolina. Der gelb markierte Weg führt bis auf 1656 m in den Bergsattel Zábrať. Von hier hätten wir ein schönes Bergpanorama gehabt, vom Volovec im Osten bis zur Brestová im Westen - wenn sich der Kamm nicht in grauen Wolken versteckt hätte. Nebelfetzen waberten über dem Sattel. So beschlossen wir hinunter zu steigen ins Tal Roháčska dolina, um in der Imbissbude am Bergsee Ťatliakovo pliesko ein Bierchen zu trinken.
Die ehemalige Berghütte Ťatliakova chata ist im Mai 1963 abgebrannt. Das ganze Tal Roháčska dolina sollte zu einem bedeutenden Wintersportzentrum in der Westtatra ausgebaut werden. Glücklicherweise blieb es beim Bau der Asphaltstraße und der Imbissbude, die heute zur Chata Zverovka gehört. Wir bestellten ein Bier und das Tagesmenü. Das Bier war okay, das Essen hätten wir uns sparen können – auf dem Teller lag ein Fastfoot-Schnitzel mit einem Klecks Kartoffelsalat aus der Konserve.
Die nächsten 1 ½ Stunden zurück zur Berghütte liefen wir auf der Straße. Von Zeit zu Zeit schaute ich auf die Uhr, um zu sehen, wie lange wir für den Weg benötigten. Das nervte Helga und sie war der Meinung ich würde Leistungsdruck aufbauen und müsse viel lockerer werden. Als Therapie schlug sie vor, ich solle doch für morgen zwei Bier mit in den Rucksack packen. Ich war zwar nicht ihrer Meinung, was den Leistungsdruck betraf, die Idee mit den Bierchen gefiel mir aber. Immerhin lag morgen eine der anspruchsvollsten Etappen auf dem Hauptkamm vor uns – vom Baníkov über die Hrubá kopa (dicke Kuppe) und die Tri kopy (drei Kuppen) in den Smutné sedlo. Also genau jenem Abschnitt, den ich im Herbst letzten Jahres abgebrochen hatte. Zum üblichen Tagesgepäck, wie Regenklamotten, Nüssen und Wasserflasche kamen noch 2 Goldfasane in Dosen in den Rucksack.

5. Über Kuppen und Grate

Wir waren etwas spät dran am nächsten Morgen, die Küche hatte um halb acht noch geschlossen, so verzögerte sich unser Abmarsch um eine halbe Stunde. Die Sonne schien, und trotz des Wolkentages hatte sie mir gestern einen Sonnenbrand im Nacken beschert. Wir waren an diesem Morgen nicht die Einzigen mit dem Ziel Baníkovské sedlo. Da wir langsam bergauf stiegen, ließen wir die anderen Wanderer vorbei und standen trotzdem schon nach 3 ½ Stunden im Sattel.
Ich schnallte meine Stöcke an den Rucksack, für die nächsten 2 bis 3 Stunden würden sie mir eher im Weg sein als nützen. Schon beim Aufstieg zum Baníkov guckten die ersten Felsen aus dem Boden. Nach einer halben Stunde standen wir auf dem höchsten Gipfel des Hauptkamms der Westtatra. 2178 m misst der Baníkov, alles, was noch höher ist, befindet sich auf den südlichen Nebenkämmen.
Das rote Band wird uns nun über einen der schwierigsten Abschnitte des Westtatra-Hauptkamms führen. Die ersten Kletterpassagen zeigten sich schon kurz hinter dem Gipfel. An Ketten hangelten wir uns über schräg abfallende Felsplatten. Helga vorneweg. Rief sie: „Kette frei“, wusste ich, dass ich nachkommen konnte. Jetzt steckte ich auch meine Fototasche in den Rucksack, etwas, was bei mir äußerst selten vorkam. Nach der Kraxelei über den Baníkov-Grat wurde der Weg etwas angenehmer. Nicht zu steil zieht sich der Pfad auf den Gipfel der Hrubá kopa (2166 m). Linker Hand glitzerten die Rohače-Seen in der Sonne und über dem Baníkov brauten sich dunkle Wolken zusammen.
Oben angekommen machten wir Mittagspause. Ich hatte keinen Hunger knabberte ein paar Nüsse und beobachtete das noch vor uns liegende Stück Weg über die Tri kopy. „Wollen wir ein Bier trinken?“ fragte Helga. Ich schaute sie ungläubig an und zeigte in Richtung Tri kopy, wo gerade einer zwischen senkrechten Felsbrocken hinaufkraxelte. Für mich stand fest: Erst wenn ich da drüber bin. Also frühestens im Smutné sedlo. Obwohl die Felsen der Tri kopy von weitem so spektakulär erschienen, fand ich die Kletterei doch leichter als am Baníkov. Vielleicht hatte ich aber auch nur etwas Übung bekommen.
Ein Pärchen, das hinter uns war, schien da weniger routiniert. Die Dame war sichtlich genervt. Der Typ redete immer fort auf sie ein. Dann wandte er sich uns zu und meinte auf Englisch, er sei sehr überrascht über diesen Weg. Vielleicht macht es Sinn, am Anfang und Ende des Abschnitts einen Vermerk an den Wegweisern anzubringen, dass der ungeübte Wanderer hier mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert wird.
Der Abstieg von der letzten Kuppe bis in den Sattel führte wieder über einen steilen Geröllpfad. Dann hatten wir es geschafft, nach 4 Stunden herumkraxeln. Wir hockten uns auf einen Grasbuckel, ich holte die zwei Goldfasane raus und wir stießen an – auf Baníkov, Hrubá kopa und die Tri kopy.
Der Weg hinunter ins Tal stellte kein Problem mehr dar. Wir sahen unser zweites Murmeltier, kehrten noch kurz in der Imbissbude ein, bevor sie dichtmachte, und waren nach insgesamt 10 ½ Stunden wieder an unserer Hütte. Zum Abend krochen wieder die Wolken über die Bergsättel und der Mond, der nun fast rund war, schob sich am Ostrý Roháč vorbei.

6. Auf's Horn genommen

Über den Ostrý Roháč (Spitzhorn) sollte auch unsere letzte Wanderung gehen. Obwohl wir pünktlich um halb acht zum Frühstück erschienen, kamen wir doch nicht früher los als gestern. Vielleicht lag es an meinem Wunsch, eine Krautsuppe zu essen und ein Glas Kofola zu trinken. Die Kellnerin schaute mich groß an, lachte und meinte in einem Mix aus Deutsch und Englisch - „Krautsuppe? Muss very good sein!“
War sie ja auch, und außerdem hatte ich einfach Appetit drauf. Außerdem bekam ich etwas zusätzliche Flüssigkeit, denn die Tour heute würde lang werden. Zuerst mussten wir wieder hinauf bis in den Smutné sedlo. Das Wetter war wie immer hervorragend, aber es lief nicht so gut, meine Beine waren schwer wie Bleiklumpen. Langsam Schritt für Schritt schleppten wir uns in Richtung Pass. Vor uns lief ein Pärchen, die Dame trug lediglich Spaghettiträger-Top, Hotpants und Sandalen – sie bogen ab in Richtung Tri kopy. Machten wir was falsch? Mit unseren Bergstiefeln, Funktionshosen und Regenklamotten im Rucksack?
Wir bogen in die andere Richtung ein. Die Rote-Band-Markierung hatte die Eigenart, immer direkt über die Felsbrocken zu führen, obwohl neben dran oft wunderbar ausgelatschte Wege die Kletterstellen umgangen. Und Helga hatte die Eigenart, immer der Markierung folgen zu müssen. An einer Kletterstelle auf dem Weg zum Plačlivý führte ein deutlicher Weg nach rechts den Hang hinauf. Oben angekommen traf er auf den von links kommenden Hauptweg. Helga schaute ungläubig. Ich grinste und sagte: „Schlüsselstelle umgangen!“ Das Ergebnis war, Helga achtete nun noch stärker auf die Markierungen, um ja keine Kletterstelle zu verpassen.
Den Weg hoch zum Plačlivý (Wimmerhorn) kannte ich ja bereits von meiner Herbsttour. Wir mussten zwischen Blöcken nach oben kraxeln und standen bald auf dem Gipfel. Oben hockte einer mit Papier und Zeichenstift und malte die Landschaft. Wir hielten uns nicht lang auf, stiegen ein Stückchen den Hang auf der anderen Seite hinab und bogen dann nach Nordosten ab in Richtung Ostrý Roháč. Hier erwartete mich die größte Herausforderung der Tour. Die beiden Roháč-Hörner verbindet ein Felsgrat, den wir hinunterklettern mussten bis in den Roháče-Sattel. Ketten waren hier keine vorhanden. Wäre ich allein unterwegs gewesen, hätte ich vermutlich wieder kehrt gemacht. So ist Helga mein psychologisches Seil und ich entschloss mich, nach einigem Hin und Her doch nach unten zu steigen. Der eigentliche Aufstieg zum Gipfel fiel mir dann wieder leichter. Hier gab es auch wieder Ketten.
Der Ostrý Roháč besitzt zwei Hörner, also einen Doppelgipfel. Oben angekommen mussten wir an einer Kette wieder hinunter in eine Scharte und dann über Felsbrocken hinauf auf den Ostgipfel. Von dort ging es über einen ausgesetzten Grat an Ketten hinunter, bis wir wieder Gehgelände erreichten. Auf steilen Serpentinen führte der Weg schließlich in den Bergsattel Jamnícke sedlo. Hier hatten wir das Gröbste geschafft. Laut Wegweiser sind es 2 Stunden und 15 Minuten bis in den Smutné sedlo, wir brauchten 4 Stunden. Auch die Zeitangabe zur Chata Zverovka überraschte mich ein wenig, laut Wegweiser waren es ebenfalls noch 4 Stunden bis dorthin. Wir hielten unsere Pause also kurz und begannen mit dem Aufstieg zum Volovec.
Von Westen her verdunkelte sich der Himmel und ein leises Grollen drang zu uns herüber. Ein Stück unterhalb des Gipfels zweigte ein Pfad nach links ab. In Anbetracht des aufziehenden Gewitters und der fortgeschrittenen Zeit wählten wir den Weg, um den Gipfel zu umgehen. Zwischen Volovec und Rákoň gelangten wir wieder auf den Wanderweg.
Auf dem Rákoň-Hügel liefen wir fast eine Gämse um. Seelenruhig stand sie da, schaute uns an und machte sogar noch ein paar Schritte in unsere Richtung, bevor sie es sich anders überlegte und auf dem Hang von dannen zog. Es war nun nicht mehr weit bis in den Bergsattel Zábrať. Dort angekommen hockten wir uns auf das Bänkchen neben dem Wegweiser. Ich packte das Bier aus und auch das Grummeln und Poltern des heraufziehenden Gewitters konnte uns nicht daran hindern, das Ende einer gelungenen Wanderung zu feiern.
Durch das Tal Látaná dolina erreichten wir nach insgesamt 10 Stunden und 45 Minuten die Hütte.

Bereits gestern Abend hatte es sich angedeutet, unser schönes Wetter war vorbei. Draußen trommelten Regentropfen auf's Hüttendach. Die Berge waren verschwunden. Wir folgten der Straße nach Zuberec und fuhren von dort mit dem Bus zurück nach Liptovský Mikuláš.

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