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Im Paradies der Karpaten

(Karpatentour April 2011 – Slowakei)

Inhalt

  1. Karpatenchadar
  2. Im Herzen des Paradieses
  3. Suchá Belá
  4. Die westlichen Schluchten
  5. Hoch hinaus
  6. Drachenfelsen
  7. Informationen

Zart violett leuchtet die Blüte zwischen den moosbewachsenen Felsen in einem Sonnenstrahl. Pulsatilla slavica - Slawische Kuhschelle heißt die Blume, von den Einheimischen auch Slowakische Anemone genannt. Nur hier an den Südhängen des Ihrík-Massivs zwischen den Kalkfelsen über dem Hornád-Fluss wächst die Pflanze. Und jetzt, Mitte April, leuchten die violetten Blüten dieser endemischen Art alle paar Meter als Symbolpflanze des Nationalparks Slowakisches Paradies, unserem Wandergebiet voller Schluchten und Klammen für die kommende Woche.

1. Karpatenchadar

Schon lang wollte ich diesen Teil der Karpaten besuchen. Eine Woche vor Ostern war es endlich so weit. Auf Tagestouren wollten wir die Schluchten im Norden des Slowakischen Paradieses erkunden. Wir hatten eine Unterkunft im Internet ausfindig gemacht - die Pension Ranč in Podlesok. Von der Lage her müsste sie unseren Ansprüchen genügen und auch die Übernachtung kostete mit 15 Euro pro Person kein Vermögen.
Frau Hodáková öffnete die Tür zu Zimmer 7. Sie bedeutete uns zu warten und verschwand im Zimmer. Einen Augenblick nur, dann kam sie zurück und ging zu Nummer 4, öffnete die Tür und bat uns einzutreten. Auf das Fenster weisend sagte sie nur - „Tatry!“. Und tatsächlich: Am Horizont reckten sich die schneebedeckten Gipfel der drei Tatra-Massive - links die Westtatra, in der Mitte die Hohe Tatra und rechts die Beler Tatra. Ich brauchte nur meine Kamera aus dem Fenster halten, ein paar Mal auf den Auslöser drücken und hatte meine Panoramavorlagen, alles ohne aufwändige Stativausrüstung.
Doch nicht wegen der Tatra waren wir hier, uns interessierte das Karstgebiet Slowakisches Paradies. Die erste große Schlucht, der wir uns am nächsten Morgen widmeten, nennt sich Prielom Hornádu - der Hornád-Durchbruch.
Auf 16 km frisst sich der Hornád durch die Kalkfelsen des Slowakischen Paradieses, 9 km davon bilden eine enge Schlucht, durch die der Wanderweg führt. Schon am Hornád-Hals betraten wir den ersten Metallsteg. Ein Schild mahnt den Wanderer zu erhöhter Vorsicht beim Durchwandern der Schlucht. Wir brauchten auch nicht lang zu laufen und der Pfad wurde von einer Holzleiter abgelöst. Auf zwei nebeneinanderliegenden Baumstämmen waren etwa 50 cm lange Bretter in Schrittweite quer drübergenagelt. Diese Konstruktion in Form einer Hühnerleiter sollte uns auf unseren Wanderungen durch die Schluchten noch häufiger begegnen. Ich mochte diese Dinger nicht sonderlich, bei Nässe rutschten meine Schuhe auf den Holzbrettern wie auf Blankeis. Die erste Durchquerung des Hornád-Durchbruchs erfolgte übrigens im Winter. Abenteurer liefen im Februar 1906 über das Eis des zugefrorenen Hornád.
Wir wanderten sozusagen im Tal des Chadars der Karpaten. (Den Chadar habe ich 2005 durchwandert. So wird der zugefrorene Zanskar-Fluss genannt, nach ihm ist eine Region im indischen Himalaja benannt.) Im Juli desselben Jahres befuhr einer der Erschließer des Gebirges, Béla Hajts (der auch dem Gebirge seinen heutigen Namen gab), den Fluss auf einem Floß.
Es dauerte jedoch noch fast 70 Jahre, bis Wanderer den Hornád auf der ganzen Länge begehen konnten. Erst im Herbst 1974 wurde mit der Fertigstellung des so genannten „Bergretter-Pfades“ (chodník Horskej služby) der gesamte Durchbruch zugänglich gemacht. Abschnitt für Abschnitt vom Hornád-Hals im Westen bis zur Mündung des Baches Biely potok im Osten wurden laut der Infotafel am Schluchtende in 15 Jahren Bauzeit 7 Brücken und Stege aus Metall, 140 Trittstufen, 333 m Sicherungsketten und 70 m Holzstege verbaut. Damit ist die Durchbruchsschlucht des Hornád bis jetzt die letzte Schlucht im Slowakischen Paradies, die für Touristen erschlossen wurde.
Wir überquerten die Hühnerleiter, die direkt an einer Felswand endete, nun ging es auf Metalltritten weiter, die in die Felswand eingelassen waren. Unter uns rauschte der Hornád. Eine Kette in Hüfthöhe sollte für zusätzliche Sicherheit sorgen. Für mich hing das Ding eindeutig zu tief. Unbeholfen mogelte ich mich um eine Felsnase herum. Helga tanzte vorneweg. Ab jetzt zeigten sich häufiger Tritte, Leitern und Stege nicht nur am Fels, auch an Böschungen ging es auf ihnen entlang. Die Steighilfen dienen nicht nur der Sicherheit, sondern auch dem Schutz empfindlicher Lebensräume für Pflanzen und Tiere. Trampelpfade durch Wanderer werden so vermieden. Nach einer Stunde mündete von rechts eine Schlucht in den Durchbruch. Ein Wegweiser verriet uns den Namen - Kláštorská roklina (Klosterschlucht). Unsere Pensionswirtin hatte uns einen Abstecher durch die Schlucht ans Herz gelegt. Von hier würden wir in etwa einer Stunde auf eine Hochebene gelangen, die sich Kláštorisko nennt. Linkerhand spannt sich eine Hängebrücke über den Hornád. Nach einer kurzen Trinkpause entschieden wir uns für eine Durchquerung der Klosterschlucht, immerhin sollte es laut Wanderkarte auf der Hochebene eine Hütte haben, und wenn die geöffnet hat, gibt es vielleicht auch ein Bierchen, dachte ich mir.

2. Im Herzen des Paradieses

Als an dieser Stelle 1960 die Hängebrücke über den Hornád gebaut wurde, wurde es auch möglich die Klosterschlucht zu begehen. Wir kehrten dem Hornád den Rücken und betraten die enge Klamm, Baumstämme lehnten an den Felswänden oder lagen uns zu Füßen. Immer enger rückten die Felsen zusammen. Bald versperrte uns eine Felswand den Weiterweg. Ein Wasserfall stürzte uns entgegen, daneben führte eine Metallleiter in die Höhe. Auf einem Blechschild am Fels stand der Name des Wasserfalls - vodopád Objaviteľov (Entdecker-Wasserfall). Die Schlucht ist kurz und steil. Auf nur 1,5 km überwanden wir 224 Höhenmeter. Weitere Wasserfälle folgten. Mein Wanderführer weist den Dúhový vodopád als größten Wasserfall aus. Laut Infotafel ist er es nicht. Was stimmt nun? Egal, beeindruckend sind sie alle. Nach etwa einer Stunde verlässt der Pfad die Schlucht nach links. Vor uns erschien eine Wiese - die Hochebene Kláštorisko (Klostergrund).
Rechter Hand blinkten weiße Steine in der Frühlingssonne. Es sind die Reste eines Karthäuserklosters aus dem 14. Jahrhundert. Die Mönche erhielten das Land für ihren Klosterbau als Geschenk von den Zipsern. Zum Dank dafür, dass die Menschen während der Mongoleneinfälle im 13. Jahrhundert hier oben Zuflucht fanden und überlebten. Dementsprechend wurde das Gebiet „Lapis Refugii“ genannt - „Zufluchtstein“. Unsere Zuflucht bestand in der chata Kláštorisko. Die Hütte wurde tatsächlich bewirtschaftet. Auf der Terrasse hockten wenige Wanderer. Wir genehmigten uns ein Goldfasanenbier und genossen die Aussicht über die Zipser Ebene zu den Bergen der Hohen Tatra. Ab jetzt sollte uns unser Weg jeden Tag hier vorbeiführen.
Es wurde Zeit für den Aufbruch. Auf einem mit gelbem Band markierten Wanderweg oberhalb der Klosterschlucht stiegen wir wieder hinab zur Hängebrücke Lanová lávka im Hornád-Durchbruch. Ein Schild an der Brücke warnte: Schaukeln verboten. Das wurde vermutlich extra für Wanderinnen wie Helga angebracht, die sich einen Spaß draus machen, die Brücke in Schwingung zu versetzen, wenn man gerade mitten draufsteht. Jetzt ging es weiter bis zur Letanovský mlyn - der Lettensdorfer Mühle. Gemahlen wurde hier nichts mehr - aber an einem Hüttchen leuchtete Bierwerbung Marke „Goldfasan“. Wir widerstanden der Versuchung und querten den Hornád über die Karthäuserbrücke - einer rekonstruierten Steinbrücke. Im Oktober 1944 wurde die Brücke von deutschen Truppen gesprengt, um den Partisanen, die in den Bergen lebten, den Zugang in die Dörfer der Zips zu verwehren. Von hier führt der sogenannte Karthäuserweg hinauf nach Kláštorisko. Es ist der älteste Zugangsweg in dieses Gebiet. Wir folgten aber dem Lauf des Hornád nach Osten. Kurz hinter der Brücke ging es wieder über Metallstufen an den Felsen entlang. Eispanzer und Schneereste klebten an den Hängen - der Winter sandte uns seine Abschiedsgrüße. Wir hatten schon Bedenken, dass die Schluchten aufgrund von Restschnee nicht passierbar wären. Doch es gab in dieser Hinsicht keine Probleme.
Der Fluss unter uns wechselte ständig seinen Charakter, mal floss er wild und schäumend zwischen Baumstämmen und Felsbrocken hindurch, mal lag er still und ruhig im Schatten der Bäume wie ein Bergsee. Kurz vor der Mündung des Biely potok in den Hornád führt ein grün markierter steiler Pfad hinauf auf den Bergkamm. Wir verließen die Schlucht, die eh bald endete, und traten den Rückweg an nach Podlesok.
Der gelb markierte Weg führt über den Kamm des Ihrík, einer Kalksteinformation über dem Hornád. Zur Linken floss nun tief unter uns der Fluss, zur Rechten breitete sich der Hornád-Talkessel aus. Eine Ebene, die schon seit der Altsteinzeit (12 000 - 10 000 v.u.Z.) besiedelt wurde. Das Felsmassiv des Ihrík selbst ist der wärmste Teil im Slowakischen Paradies. An seinen sonnigen Südhängen leben seltene vom Aussterben bedrohte Tiere und Pflanzen, wie die eingangs erwähnte Slawische Kuhschelle (Pulsatilla slavica), die Symbolpflanze des Nationalparks. Vorbei an der Gackova diera, einem 24 m tiefem Loch im Kalkstein, erklommen wir die letzte Erhebung den Berg Zelená hora (Grüner Berg). Der Grüne Berg erhebt sich 654 m über dem Zusammenfluss des Hornád-Flusses und des Großen Weißwasser Bachs (Veľká Biela voda). Bereits in der Altsteinzeit wurde hier gesiedelt. Vom Wald überwucherte Mauerreste einer Burg aus dem 13. Jahrhundert machen den Hügel archäologisch interessant.
1453 besetzte eine Gruppe Hussiten die Burg, verstärkten sie und nannten sie Tábor („Das Camp“). Von hier begannen sie verheerende Ausritte in die Umgebung und in die Stadt Levoča. Nachdem die Hussiten 1462 die Burg verlassen hatten, zerstörten die Einwohner von Levoča die Burg.
So steil, wie es hinauf ging, ging es auch wieder hinunter. Wir erreichten den Hornád-Hals, unseren Ausgangspunkt von heute Morgen - der Kreis hatte sich geschlossen.

3. Suchá Belá

Praktisch vor unserer Haustür lag das Wanderziel unserer Tour am nächsten Morgen - die Schlucht Suchá Belá. Die 4 km lange Schlucht ist laut der Infotafel an der Schluchtmündung die am häufigsten besuchte Schlucht im Slowakischen Paradies. Jetzt Mitte April waren wir die Einzigen, die mit ihren Bergstiefeln über die weißen Kalksteinkiesel am Schluchtboden klapperten. Suchá Belá bedeutet soviel wie trockene Weißwasserschlucht. Weiß wohl aufgrund bereits erwähnter Steine am Boden und trocken, da das Wasser stellenweise unterirdisch zu Tale fließt. Am Bachufer und an den Hängen stritten sich Frühling und Winter um die Vorherrschaft. Zum einen blühten unzählige blaue, gelbe und weiße Blumen - an den Felsen aber klebten noch graue Eiskrusten. Die ersten Kaskaden in der Schlucht nennen sich Misové vodopády, zu deutsch Schüsselwasserfälle. Im Laufe der Zeit hat das Wasser schüsselartige Vertiefungen in den Fels gewaschen. Etwa 30 m hoch geht es über Stahlleitern und Brücken an den Fällen vorbei. An den Schüsselwasserfällen endete auch der erste Versuch einer Durchquerung der Schlucht von Tourismuspionier Prof. Martin Roth und seinen Bergkameraden im Jahre 1900. Erst 10 Jahre später während einer Winterbegehung gelang es Alexander Mervay, die Schlucht auf ihrer gesamten Länge zu durchqueren.
1957 brachten Mitglieder der Bergrettung Slowakisches Paradies Sicherungen an, um eine sichere Durchquerung der Schlucht zu gewährleisten.
Wir erreichten nun den engsten Abschnitt der Schlucht - Roklina genannt. Weitere Felsabschnitte, an denen Wasserfälle hinunterstürzten, folgten. So der Okienkový vodopád (Fensterchen-Wasserfall), da hier die Leiter an einem Felsentor endet, durch das wir klettern mussten. Auf Hühnerleitern balancierten wir über das Bachbett. Es ist der letzte enge Abschnitt der Schlucht - Kaskády (Kaskaden) genannt. Dann wurde das Tal weiter, flacher und trockener. Der Bach verschwand wieder im Untergrund. Eine Forststraße kam in Sicht. Waldarbeiter hockten vor ihrem Auto und pausierten. Die Schlucht endet auf einer Höhe von 959 m. Am Boden blühten noch Krokusse, violett leuchteten die Blüten in der Sonne. Zeit für uns auch mal Vesperpause zu machen.
Der zweite Teil unserer Wanderung hatte etwas Frevelhaftes. Frau Hodáková, unsere Pensionswirtin, erkundigte sich jeden Morgen nach unserem Vorhaben für den Tag. Als sie erfuhr, dass wir heute in die Schlucht Suchá Belá wollten, holte sie eine Wanderkarte und huschte mit dem Finger über das Gebiet - „Podlesok hier, Suchá Belá, Malý Kyseľ, Obrovský vodopád groß“ - ihre Arme beschrieben einen Kreis in der Luft - „Kláštorisko und zurück“ empfahl sie uns. Auf meinen Einwand, dass die Schlucht des Malý Kyseľ nur in einer Richtung begehbar wäre, meinte sie nur „Kein Problem“. Keine Leute wären heute unterwegs, wir würden niemandem begegnen.
Der obere Schluchtausgang befand sich gleich gegenüber unserem Picknickplatz. Wir warteten noch ein Pärchen Wanderer ab und begannen den Abstieg in den Kleinen Kißel.
Die Schlucht ähnelt eher einem schmalen Tal. Erst kurz vor dem Ende der 3,5 km langen Strecke geht es an Leitern nach unten. Neben uns die Wasserfälle Machový vodopád (Mooswasserfall) und kurz darauf der Malý vodopád (Kleiner Wasserfall).
Am Treffpunkt der Schluchten Malý Kyseľ und Veľký Kyseľ rauscht das Wasser durch die Kyseľ-Schlucht zu Tal. Leider ist die Schlucht nur noch bis an den oberen Rand des Obrovský vodopád (Riesenwasserfall) begehbar. Aus Sicherheitsgründen wurde der untere Teil bis zur Mündung nach einem Waldbrand, der u.a. die Steighilfen zerstörte, im Jahre 1976 für Wanderer gesperrt. Wir betraten also den Rundweg, um mal am Riesenwasserfall (65 m) in die Tiefe zu schauen. Leider war nicht viel zu sehen. Im Fels steckten noch vor sich hinrostende Reste von Steighilfen. Zurück ging es wieder über Kláštorisko - Bierchen und Krautsuppe warteten. Grüne, gelbe und rote Wegmarkierungen begleiteten uns hinab nach Podlesok.

4. Die westlichen Schluchten

Wir mussten früh aus den Federn am nächsten Morgen. Nicht weil wir eine Wanderung durch die längste Schlucht des Slowakischen Paradieses geplant hatten, sondern weil dem Paradies der große Blackout bevorstand. Aufgrund von Reparaturarbeiten gab es keinen Strom. Unsere Frühstückszeit wurde um eine Stunde auf 7.00 Uhr vorverlegt. Es bot sich also an, in die Schlucht Veľký Sokol (Große Falkenschlucht) einzusteigen. Bis zum Eingang der Schlucht hätten wir etwa 2 Stunden gebraucht, einen Teil davon auf einer Asphaltstraße. Frau Hodáková diskutierte da nicht lang rum, sie fuhr uns mit ihrem Auto zur Schlucht. Die so gewonnene Zeit investierten wir in einen Abstecher in die Schlucht Malý Sokol (Kleine Falkenschlucht). Auf meiner Wanderkarte ist sie nicht mehr als begehbar aufgeführt, in meinem 28 Jahre alten Wanderführer schon. Ein verwilderter Forstweg führt in das Tal. Ab und zu zeigte sich an Baumstämmen noch eine verblasste Wegmarkierung - ein grünes Band. Die Schlucht weist keine größeren Wasserfälle auf, da diese durch Sprengungen für den Bau einer Forststraße in den dreißiger Jahren zugeschüttet wurden. Je weiter wir dem Bachtal folgten, desto unüberschaubarer wurde der Weg, bis er schließlich ganz verschwand. Baumstämme lagen kreuz und quer über dem Bachbett. Wir wühlten uns hindurch, Äste packten uns am Kragen, wollten nicht, dass wir weiter liefen. Wir beschlossen, umzukehren. Bereits auf dem Rückweg drang plötzlich Hundegebell an unsere Ohren und tatsächlich: Kurz darauf äugte ein Jagdhund neugierig zwischen den Bäumen zu uns herüber auch sein Herrchen ließ nicht lang auf sich warten, stiefelte jedoch mit forschem Schritt die Schlucht hinauf, ohne uns zur Kenntnis zu nehmen. Selbst in dieser abgeschiedenen Wildnis Menschen zu begegnen, wunderte mich schon.
Eine reichliche Stunde hatte uns der Ausflug gekostet. Ab jetzt ging es weiter durch die Große Falkenschlucht. Groß fand ich sie tatsächlich - großartig. Das Tal - anfangs noch breit und übersichtlich - verengt sich mit dem Aufstieg zusehend. Felsen erheben sich bis zu 300 m hoch zu beiden Seiten der Schlucht. Kammená vráta (Steinernes Tor) nennt sich der Schluchtteil. Wir erreichten den ersten großen Wasserfall, der vom Namen her klein ist - Malý vodopád (Kleiner Wasserfall). Über Stahlleitern und Brücken überwanden wir den 8,5 m hohen Wasserfall. Kurz darauf folgt der Große Wasserfall - Veľký vodopád - der allerdings nur 7 m hoch ist. Den letzten Schluchtabschnitt bildet die Klamm Róthova roklina (Martin-Roth-Klamm). Sie wurde nach dem Erstbegeher Martin Roth benannt, der die Schlucht im August 1898 durchquerte.
Am rot markierten Glacká cesta (Glatzweg) hatten wir es geschafft. Die Schlucht lag hinter uns, wir hatten die Hochebene Glatz (Glac) erreicht. Die Wiese Malá poľana mit ihren Krokussen lud zur Mittagspause ein. Wie gestern traten wir nicht sofort den Heimweg an, sondern widmeten unsere Aufmerksamkeit der zweiten Kyseľ-Schlucht - dem Veľký Kyseľ. Auch hier begegnete uns kein Mensch. Dumm nur war, dass ich für die beiden Kyseľ-Schluchten einen Wandertag eingeplant hatte, nun drohten mir am Ende die Touren auszugehen. Aber darüber konnte ich mir noch später den Kopf zerbrechen, die nächste Schlucht wartete.
Das Nachbartal der Schlucht Veľký Sokol bildet die Kleine Öfenklamm - Roklina Piecky. Von Podlesok bis zum Bergdorf Píla im Tal des Baches Veľká Biela voda (Großer Weißwasserbach) brauchten wir eine gute Stunde. Auch wenn das Dorf insgesamt einen eher touristischen Eindruck hinterlässt, gibt es doch auch ein paar hübsche Holzhäuser zu sehen. Ein Schild am Waldrand verkündete, dass die Schlucht vom 1. April bis 20. April gesperrt sei. Den Grund dafür konnten wir nicht in Erfahrung bringen. Heute war der 20. Wir ignorierten Schild und Datum und begannen den Durchstieg. Bald erreichten wir den Wasserfall Veľký vodopád (Großer Wasserfall, 13 m). Senkrecht führt eine Eisenleiter am Felsen hinauf. Die 4 km lange Schlucht wurde erst 1911 vom Tourismuspionier Alexander Mervay erstbegangen. Wilde unwegsame Seitenschluchten, die Zadné (Hintere) und Predné (Vordere) Piecky rückten ins Bild, sie dürfen aus Gründen des Naturschutzes nicht betreten werden. Insgesamt ähnelte die Schlucht denjenigen, die wir bereits durchwandert haben. Baumstämme moderten am Boden, vom Schnee säuberlich aufgeschichtetes Holz lehnte an Felswänden, von oben tropfte abtauendes Eis in der Vormittagsonne.
Steil zog sich schließlich der Pfad am Schluchtende hinauf zum Glatz-Plateau. Durch die noch kahlen Laubwälder auf dem Plateau leuchtete ab und zu der schneebedeckte Kamm der Niederen Tatra. Bis Kláštorisko war es nicht mehr weit. Frisch gestärkt folgten wir dem Karthäuserweg hinunter in den Hornád-Durchbruch. Vom Hang der Čertova sihoť bot sich eine Aussicht hinunter auf die Zipser Ebene bis zu den Bergen der Hohen Tatra. Über 9 Stunden steckten uns wieder in den Beinen, als wir in Podlesok ankamen.

5. Hoch hinaus

Eine Schlucht fehlte uns noch. „... der Gang durch die Schlucht ... ist nur tüchtigen Touristen zu empfehlen ...“, warnte uns der Autor unseres Wanderführers. Es war also genau das Richtige, sozusagen ein Geschenk für mich, denn heute hatte ich Geburtstag. Die Schlucht Sokolia dolina (Falkental) ist die steilste Schlucht im Slowakischen Paradies. Auf nur 2,5 km müssen 430 Höhenmeter überwunden werden. Außerdem besitzt sie den höchsten Wasserfall des Slowakischen Paradieses. Im Závojový vodopád (Schleierwasserfall) stürzt das Wasser 75 m in die Tiefe. Neben Schokolade, Müsliriegeln und Nüssen packte ich zur Feier des Tages noch eine Flasche Spätburgunder in den Rucksack. Dann ging es bergauf bis Kláštorisko und von dort wieder steil bergab ins Tal des Biely potok (Tomsdorfer Weißwasserbach). Selbst dieser Abstieg wurde stellenweise mit Ketten gesichert. Unten angekommen folgten wir ein Stück dem Bach, bis wir rechts zum Eingang des Falkentals gelangten. Ein gelbes Band markiert den Wanderweg durch die Schlucht und ein gelbes Schild mahnte noch mal zu erhöhter Vorsicht.
Die Erschließer des Slowakischen Paradieses A. Mervay und L. Rokfalussy durchstiegen mit ihren Kameraden 1910 die Schlucht erstmalig, der eine von oben der andere von unten. 1912 erfolgte die erste Winterbegehung. Allerdings umging ein Pfad den Schleierwasserfall. Erst zwischen 1979 und 1981 wurden die Leitern, Brücken und Trittstufen gebaut, die nun neben dem Wasserfall hinaufführen, insgesamt 80 m hoch. Dass in den 30 Jahren der Zahn der Zeit an den Sicherungen genagt hatte, konnten wir an den Ketten sehen. Zum Teil wurden sie mit abenteuerlichen Konstruktionen aus dünnen Drähten an den Verankerungen im Fels gehalten. Da empfahl es sich besser, nicht an die Ketten zu langen, sondern die natürlichen Griffe im Fels zu nutzen. Auch die Leiter war nur noch an einer Seite im Felsen verankert und wackelte unruhig herum, als wir hinaufkletterten. Dafür wurden wir oben mit spektakulären Aussichten auf die umliegenden Felsen belohnt. Das die Bäume noch keine Blätter trugen, erwies sich hier als Vorteil. Am 15,5 m hohen Vyšný vodopád ging es noch mal über „Hühnerleitern“, dann hatten wir die Schlucht durchstiegen.
Waren wir gestern noch die einzigen Gäste in Kláštorisko, strömten heute mit Rucksäcken bepackte Menschen aus allen Richtungen auf den Zufluchtstein. Schuld daran waren keine wilden Mongolenhorden, sondern die bevorstehenden Osterfeiertage. Morgen war Karfreitag, für uns der letzte Wandertag im Slowakischen Paradies. Da wir die beiden Kyseľ-Schluchten bereits kannten, wusste ich nicht so recht, wie wir den Tag gestalten sollten. Da kam Helgas Idee gerade recht. Wir wollten oberhalb des Hornád-Durchbruchs bis zum Aussichtsfelsen Tomášovský výhľad laufen, von dort weiter bis zur Ortschaft Čingov und über Kláštorisko zurück nach Podlesok.

6. Drachenfelsen

Vieles hatte sich verändert auf unserem Weg, den wir vor 5 Tagen gelaufen sind. Im Kassenhäuschen am Eingang zur Schlucht des Hornád hockte jemand und kassierte Eintritt. Das Geld (1,50 EUR) wird zum Erhalt der Wege und Sicherungen im Nationalpark eingesetzt, so die Infotafel. Auch der Kamm des Ihrík-Felsens hatte sich gewandelt. An Büschen und Bäumen grünten zarte Blätter und das Nationalparksymbol, die Blüten der Slawischen Kuhschelle, war weitgehend verschwunden.
Dass der Tomsdorfer Aussichtsfelsen einer der am häufigsten besuchten Plätze im Nationalpark war, glaubten wir sofort. Auf der Plattform wimmelte es von Besuchern. Familien mit Kindern tummelten sich gefährlich nahe an der Abbruchkante der bis zu 32 m hohen Kalksteinwand - der Filmkulisse des Hollywoodfilms Dragonheart. Senkrecht, stellenweise gar überhängend ist der Tomášovský výhľad der einzige Kletterfelsen im Nationalpark, unter der Abbruchkante blinkten metallene Umlenkhaken in der Sonne.
Kurz hinter dem Tomášovský výhľad, auf dem Weg nach Čingov, tauchten noch zwei interessante Felsformationen auf - Ihla („Die Nadel“) und Kazateľnica („Die Kanzel“). Von den Gipfeln bietet sich eine wunderschöne Sicht hinunter auf das Hornád-Tal und zu den gegenüberliegenden Hängen. In den 1960iger Jahren beherrschten beide Erscheinungen das Landschaftsbild, heute liegen sie versteckt hinter den Baumwipfeln des umliegenden Waldes. Bei Čingov stiegen wir hinab ins Hornád-Tal und folgten dem Fluss stromauf bis an den Fuß des Berges Čertova sihoť („Des Teufels Weiler“). Steil bergauf ging es zur Kláštorisko-Hochebene zurück. Damit hatten wir auch den letzten markierten Wanderpfad im Nordteil des Slowakischen Paradieses kennengelernt. Die Hütte war brechend voll, auf der Terrasse hatte ein zweiter Bierstand aufgemacht.
Ich war mir sicher, irgendwann würde ich hier nochmal vorbeischauen, vielleicht im Winter? Oder wenn Regen einem das Tatra-Wandern vergrault, das Slowakische Paradies liegt ja gleich um die Ecke. Uns blieb nur zu sagen - „Auf Wiedersehen“ kleines Paradies in den Karpaten.

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