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Kraft und Sinnlichkeit der Erde

Zu Besuch bei einem Banater Töpfermeister

von Willi Konrad

Wer auf der Fernverkehrsstraße Temeswar – Wojtek – Reschitza (DN 58, DN 58 B) ins Banater Bergland fährt, sollte einen Abstecher nach Biniş nicht scheuen. Gleich bei der Einfahrt nach Bokschan/Bocşa wird auf die asphaltierte Kreisstraße 585 nach rechts abgezweigt, und nach fünf Kilometern ist man am Ziel.
Biniş liegt in einem sanften Kessel. Ionică Stepan ist der einzige Töpfer weit und breit, ein Mann, der wieder zu seinem Beruf zurückgefunden hat. Ja, zurückgefunden, denn seine Rente bezieht der Fünfundsechzigjährige als ehemaliger Kumpel der Eisenerzgruben von Eisenstein/Ocna de Fier.
Die Töpferwerkstätte ist fast die gleiche wie die seines Vaters. Nichts hat sich geändert. Daher auch ihr eigenartiger Reiz, der schon mit dem Geruch beginnt, dem Geruch feuchter Erde, sandigen Lehms, von Malschlicker, dem säuselnden Knirschen des sich drehenden Töpferrads. Sei es das Wissen um einen der ältesten Berufe der Menschheit, sei es die Sinnlichkeit der entstehenden Formen, die sich zwischen den klobigen Fingern des Meisters buchstäblich herauswinden, sei es die fast spielerische Leichtigkeit, mit der der Meister dem gemaukten Ton die gewünschte Form verleiht – das Handwerk übt eine Faszination aus, der nicht wenige erliegen. Allerdings hält der Meister nicht viel von Hobbytöpferei. „Es gibt zwar Ausnahmen“, sagt er, „aber herzlich wenige.“
Biniş war einstmals das wichtigste Töpferdorf im Südbanat. In 80 der über 200 Häuser der stattlichen Ortschaft gab es Töpferwerkstätten. Mit Planwagen wurde die Töpferware nach Orschowa, Großsanktnikolaus, Jimbolia – ins ganze Banat gebracht. Die Binişer Töpferware ist eine unglasierte Gebrauchskeramik, der Grundscherben wird mit rotbraunen und weißen Erdfarben bemalt und mit Ritzmustern verziert. Meister Stepan stellt heute nur ungesinterte Ware her, die der Terrakotta verwandt ist. „Aber Töpferei ist heute ohnehin ein Kunsthandwerk, da kommt es nicht mehr so auf die praktische Verwendbarkeit an als vielmehr auf Formtreue und Traditionskorrektheit“, behauptet der Meister. Binişer Töpferware erkennt man am „Daumendruck“, der „călcătura cu degetul“, an der Basis jedes Henkels angebracht, was eine Art Stempel darstellt und früher sogar den jeweiligen Meister nach seinem Fingerabdruck erkennen ließ.
Die Werkstatt des Meisters Stepan ist die traditionelle. An den Wänden die zum Raumlufttrocknen fertigen Formlinge und auf einigen Brettern die Rohlinge, eine Quetschmaschine zur mechanischen Aufbereitung des Tons: Stepan mischt seine Arbeitsmasse aus zwei Tonarten, einem fetten, viskosen und einem sandigen zur Magerung – zahlreiche hölzerne und metallene Scheibenköpfe verschiedener Größe, zwei Töpferräder. Obwohl der vielgereiste Meister Töpfergerät aus ganz Europa besitzt und auch verwendet, wenn Sonderwünsche auszuführen sind, gibt es eigentlich wenig Zusatzgerätschaft. Für die Binişer Keramik genügen ihm Kammschienen, einige Modellierhölzer, die Schale zum Befeuchten der Finger, ein dünnes elastisches Gummi zum Glätten der Gefäßwände, der Schlickertopf und einige Pinsel.
Der Meister liebt es, während der Arbeit zu erzählen. Über seine Familie und Wirtschaft, über seine Frau, die ebenfalls aus einer Töpferfamilie (wie er auch) stammt – „Töpfer zog’s zu Töpfern, und wer da aus der Reihe tanzte, der war im Dorf fast geächtet, schließlich wurde man bei der Heirat nicht nur in die Familie aufgenommen, man kam auch in den Betrieb und erhielt auch gleich das traditionelle Absatzgebiet zugeteilt, denn das ganze Banat war sozusagen unter den Töpfern aufgeteilt.“
Das Töpferhandwerk war und ist im Banater Bergland z. T. noch immer stark an den Jahresablauf und seine traditionellen Feste gebunden. Töpferwaren wurden für bestimmte Ereignisse und für streng abgegrenzte Gebiete hergestellt; Krüge für Geburts-, Hochzeits- und Totenbräuche und Gefäße für die großen Dorffeste wie zum Beispiel das Erntefest, aber auch Mustöpfe und Schmalztöpfe und unzähliges Kochgeschirr.
Ionică Stepans Töpferscheibe unterscheidet sich kaum von jenen, die in Urzeiten in Europa verwendet wurden. Die Welle ist aus Holz. Früher hatte sie an der Basis einen Schweinezahn der Härte wegen. Dieser lief in einer Pfanne, in der sich der Spindel drehte und wo eine Schweineschwarte zum Schmieren angebracht wurde. Der Stützbalken war aus Akazienholz, wie dieses Holz übrigens im Südbanat seiner Härte wegen auch bei sonstigem Arbeitsgerät große Achtung genießt. Das Holz hatte vorher jahrelang im Stall als Bohlenunterlage gedient, war extrem trocken und durch und durch urindurchtränkt und so außerordentlich hart geworden: der Schweinezahn konnte dem Holz auch nach Jahren kaum etwas anhaben. Das Fußblatt von Stephans Töpferscheibe ist ebenfalls aus Akazienholz und wird der zusätzlichen Schwungkraft wegen von einem starken Eisenring zusammengehalten. Statt des Schweinezahns dreht sich Stepans Spindel in einem gut geschmierten Kugellager. Meister Stepan zieht metallene Scheibenköpfe vor, weil sie sich weniger abnutzen.
Bei der Arbeit fällt das Licht von rechts. So sieht man die Konturen besser. Die gemaukte Masse – je länger der in der Quetschmaschine verarbeitete Ton steht („maukt“), um so besser verarbeitbar ist er – steht rechts von seinem Sitz auf der Arbeitsbank, ebendort auch die Wasserschale zum Befeuchten der Finger. Ein Klumpen Ton wird dreigeteilt, geschlagen und gegleicht, dann auf den Scheibentopf aufgeschlagen. Zentrieren und Aufbrechen, Stellgriff und Zangengriff ziehen die Form rasch hoch. Regel: „Unten dünn und oben dick, das ist des Töpfers Meisterstück!“ Gedreht wird die Scheibe mit den (nackten) Füßen. Interessant auch das Henkeln. Ein Tonstrang wird ausgezogen, hängt senkrecht, unten zwickt der Meister mit Zeige- und Mittelfinger ein Stückchen ab und klebt es sofort oben am Strang wieder an (nichts darf verlorengehen!), schätzt dann die erforderliche Länge ab, zwickt jetzt den Strang ab und klebt ihn, schlickerfeucht „in dezentem Bogen“ an das Gefäß. Unten wird glattgestrichen, oben zuerst geknickt, dann glatt verschmiert. Dann der Daumendruck: fertig!
Direkt auf dem Scheibenkopf wird auch bemalt. Der Rohling klebt noch fest. Wellenlinien, Punkte, Wülste und Noppen, sogar Schneppen sind Dekorelemente. Stepan brennt bei einer Temperatur von 900 – 1000 Grad im traditionellen rumänischen Brennofen, deren er gleich mehrere hinten im Hof stehen hat. Weiß nennt sich die für Biniş typische Farbe der Töpferware, ist aber ein orange angehauchtes Gelb.
Meister Stepan, dessen Anwesen, wenn er zu Hause ist, selten der Gäste entbehrt, ist eine Fundgrube für ethnographisch Interessierte. „Wie sich doch die Zeiten geändert haben!“, pflegt er zu sagen. „Früher, als Knirps, fuhr ich wochenlang mit Vater auf der Suche nach Kunden im Planwagen durchs Banat – mit oft 200 – 300 Wasserkrügen drauf –, heute vergeht kaum ein Tag ohne interessierte Gäste. Solang ich gesund bin, sind sie willkommen.“

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 88, S. 167 – 170)

Seite Bildunterschrift
 
168 Meister Stepans Töpferscheibe unterscheidet sich kaum von jenen, die seit jeher in Europa verwendet wurden. Die Welle ist aus Holz.
169 Man kann den Meister auch öfters im Bukarester Museum des Dorfes und der Volkskunst begegnen, wo er Besuchern Schauunterricht im Töpferhandwerk gibt. Bei dieser Gelegenheit kann man auch echte Binişer Töpferwaren erstehen, deren Gebrauchswert an den Jahresablauf und seine traditionellen Feste gebunden sind: Krüge für Geburts- und Hochzeitsfeste, Gefäße für die großen Dorffeste.
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