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Wenn der Enzian blüht

Ein Tagesausflug über die Hohe Rinne zur Bucşa-Wiese

von Horst Bonfert

Dem Auge bot sich ein Bild von nahezu unbeschreiblicher Schönheit: In der mittäglichen Sonne lag ein Teppich von sattem Grün mit vielen leuchtenden blauen und gelben Tupfen, mal herrschte die eine, mal die andere Farbe vor, stellenweise flossen sie harmonisch ineinander. Man hört das Rauschen in den Tannenwipfeln, den Lockruf eines Vogels... Wir waren am Ziel unserer Wanderung angekommen: Die Bucşa-Wiese, seitlich vom Kammweg Cindrel-Gipfel – Onceşti-Gipfel – Răşinari. Die blauen und gelben Tupfen im Gras sind eine Flut von Enzianen und Dotterblumen.

Die Hohe Rinne (Păltiniş) mit ihren umliegenden Bergen ist ein beliebtes Naherholungsgebiet der Hermannstädter. etwa das, was der Götzenberg für die Heltauer ist, oder die Schulerau für die Kronstädter; gleichzeitig aber auch der höchstgelegene Kurort Rumäniens (1440 m ü. d. M.).
Von Sibiu/Hermannstadt führt die Straße (33 km) durch den Jungen Wald, vorbei am Freilichtmuseum der bäuerlichen Technik, durch das Bergdorf Răşinari. In- und ausländische Wanderfreunde, die mit dem Pkw reisen, können hier eine kleine Pause einschalten, um das Dorfmuseum zu besuchen, zu dessen Exponaten auch Hinterglasmalereien zählen, oder das Geburtshaus des Dichters Octavian Goga (1881 – 1938) besichtigen. Anziehend wirken auch die kleinen Häuser mit ihrem himmelblauen Anstrich und den kleinen Fenstern, wie sie in den Gebirgsgegenden allgemein anzutreffen sind. Die Asphaltstraße (DJ 106 A) führt bis zur Curmătura-Hütte (648 m ü. d. M.) das Stezii-Tal entlang, um sich dann in unendlichen Serpentinen über den breiten Vălan-Rücken (etwa 1200 m) bis zum Höhenkurort Hohe Rinne empor zu schlängeln.
Die ersten Kurhäuser wurden vom Siebenbürgischen Karpatenverein (SKV) in den Jahren 1892 – 1894 gebaut, am 10. Juni 1894 durch den Obmann der Hermannstädter Sektion des SKV, Robert Gutt, feierlich eröffnet. Von Beginn an war das Kurhaus auf der Hohen Rinne – der Name kommt von einer Quelle, deren Wasser in eine Holzrinne geleitet, im Volksmund zu „Hohe Rinne“ wurde – als eine größere Anstalt gedacht, „... denn das Kurhaus ist ja nicht von lokaler Bedeutung, sondern hat seine Bestimmung, mindestens den siebenbürgischen Landesteilen unseres Vaterlandes, in welchem eine solche Anstalt überhaupt noch nicht besteht, ohne Unterschied des Standes, der Nationalität und der Religion, zu dienen.“ Ein Jahr später wurden noch ein Schutzhaus und Jahre darauf ein Ärzteheim gebaut. Diesen folgten ein Militärkurhaus, ein Erholungsheim des orthodoxen Metropoliten von Siebenbürgen, heute „La shit“ genannt, und mehrere Villen. In diesen Zeitraum fällt auch der Bau einer Straße, und im Jahre 1901 verkehrt zwischen Hermannstadt und dem Höhenkurort ein von Pferden gezogener Koberwagen. 1927 hat dann das Hermannstädter Elektrizitätswerk die Stromleitung gelegt, und 1930, genauer am 10. Mai, fuhr der erste Bus auf die Hohe Rinne. Einzigartig in der Geschichte des Höhenkurortes und des Postwesens ist die Ausgabe von Botenmarken (in der Zeitspanne 1895 – 1930 wurden neun Ausgaben herausgegeben) für die Privatpost.
Um das Bild des Höhenkurortes Hohe Rinne abzurunden, sei angeführt, dass in den letzten Jahren das Berghotel „Cindrel“ und der Sessellift gebaut wurden sowie die mehrstöckigen Anbauten zur „Casa turiştilor“. Der Sessellift wird im Winter von den zahlreichen Skifahrern beansprucht (Länge 1052 m; Höhenunterschied zwischen Tal- und Bergstation 241,50 m; 360 Personen je Stunde).
Genau vor einer der ehemaligen SKV-Hütten hält der Bus, mit dem man aus Sibiu anfährt. Wir schultern unsere Rucksäcke und beginnen bei der Talstation des Sesselliftes den Aufstieg zur Bergstation. Die Rastpause nach dem 45-Minuten-Anstieg ist willkommen, zumal sich auch ein schöner Ausblick in das weite Hochland bietet.
Weiter geht es, der Markierung blaues Dreieck folgend, um nach etwa 300 Meter auf die Conradt-Warte auf dem Onceşti-Gipfel (1713 m) zu stoßen. Die „Conradt-Warte“ wurde 1902 zum Gedenken an den ersten SKV-Vorstand, Dr. Karl Conradt, errichtet. Auch hier hat man einen schönen Ausblick. Noch mehr genießt man jedoch die göttliche Ruhe, das Rauschen der Tannen und die wärmenden Sonnenstrahlen. Rechts, an der Conradt-Warte vorbei, führt der Weg durch Wacholdersträucher und durch Tannenwald. Nach etwa 20 Minuten Wanderung stoßen wir auf den Kammweg (Roter Strich) an der Stelle, wo in diesen auch der Wanderweg von der Schanta (Rehwiese, 1340 m) mündet. In der Nähe befindet sich auch das Ferienlager für Pioniere und Schüler. Noch 10 Minuten sind zu gehen, dann stehen wir auf der Wiese „La icoană“. Hier begrüßen uns die ersten Enziane.
Nun verlassen wir den Kammweg und auch die Markierung Roter Strich und folgen rechter Hand einem unmarkierten Wanderweg in den Tannenwald. Er ist nicht zu verfehlen und wird auch von keinem anderen Pfad gekreuzt, so dass ein Verirren unmöglich ist. Nach 20 – 25 Minuten erreichen wir die eingangs beschriebene Bucşa-Wiese. die sich über einen sanften Bergrücken dahinzieht. Die Blumenwiese ist ein wunderschöner Anblick, einmalig aber auch das sich dem Betrachter bietende Bergpanorama: Weit hinten im Westen thront der 2245 Meter hohe Cindrel, etwas näher der Niculeşti (2035 m), und im näheren Blickfeld die Bătrâna (1840 m); vor uns die Zoodter Berge.
Den Heimweg kann man auf zwei Varianten antreten.

  1. Wer mit dem Pkw angefahren ist, und diesen auf dem Parkplatz auf der Hohen Rinne abgestellt hat, muss unweigerlich denselben Weg zurückwandern. Das gleiche gilt auch für diejenigen, die den Hohe-Rinne-Abend-Bus (17.30 Uhr) erreichen möchten.
  2. Auf dem Kammweg (Roter Strich) bis nach Răşinari wandern. Von der Bucşa-Wiese führt der unmarkierte Weg um eine Waldzunge, nahezu geradlinig zur Tomnatic-Wiese (1386 m), wo wir erneut auf den Kammweg stoßen. Ein Tisch und eine aus jungen Bäumchen gezimmerte Bank laden zu einer kurzen Rast ein. Weiter geht es in nord-östlicher Richtung. Die Wanderung führt an einer Quelle vorbei, die die Răşinarer Bergbauern „La apa cumpănită“ (1303 m) nennen. Während der Rast sehen wir den Götzenberg (1304 m), ja selbst Michelsberg/Cisnădioara, Heltau/Cisnădie, und das Hermannstädter Neubauviertel auf dem ehemaligen Reitplatz kann man an klaren Tagen ausmachen. Über Plai und Fraga (1036 m) geht es hinunter in das Gebirgsdorf Răşinari, an den an die Bergrücken gelehnten Häuschen vorbei und erreichen schließlich die Straßenbahnhaltestelle. Mit der „Elektrischen“ fahren wir zurück nach Sibiu/Hermannstadt, von wo wir zu diesem schönen und erlebnisreichen Tagesausflug aufgebrochen sind.

Dieser Ausflug ist vor allem jenen Touristen zu empfehlen, die Sibiu zum Reiseziel gewählt haben oder im Transit berühren und denen es auch die Zeit gestattet, einen Abstecher in eine schöne Berglandschaft zu machen.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 87, S. 61 – 63)

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