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Kennen Sie den Hohenstein?

Am schönsten geht’s die Leitern hinauf

von Lia Gross

Fährt man von Bukarest nach Braşov, so führt der Weg von Predeal nach Tömösch hinunter zwischen zwei fast gleich hohen Bergen hindurch, die da wie Zwillinge stehen und den Pass zu bewachen scheinen. Rechts der Hohenstein (Piatra Mare – 1844 m), links der Schuler (Postăvarul – 1802 m). Während der Schuler besser bekannt ist, schon darum, weil er bei Braşov liegt und von da aus leicht zu erreichen ist, vor allem aber durch das Touristikzentrum Schulerau (Poiana Braşov – 1000 m) mit seinen Hotels, Skipisten, Drahtseilbahnen, Wanderwegen, Sportanlagen, trifft man am Hohenstein verhältnismäßig wenig Touristen. Einzig und allein auf der großen Wiese rund um die Hütte tummeln sich am Wochenende zahlreiche Ausflügler. Auf den Wanderwegen jedoch begegnet man nur wenigen, und das ist schade, denn der Hohenstein bietet viel Schönes.
Zum Hohenstein führen bisnoch weder Fahrwege noch Drahtseilbahnen hinauf. Wer ihn also kennenlernen will, muss gut zu Fuß sein und ein wenig Anstrengung in Kauf nehmen. Dafür wird ihm aber das Gefühl vermittelt, ein echter Tourist zu sein, ein Wandervogel, der überallhin aus eigener Kraft gelangt. Trotz allem ist der Hohenstein kein schwieriger Berg und als Tagestour leicht „zu machen“.
Bekannte und am meisten benützte Aufstiegspunkte sind Predeal und Dâmbul Morii. Ein kurzer, aber anstrengender, weil steiler Weg führt von Predeal, am großen Tunnel vorbei, direkt hinauf aufs Gipfelplateau (blauer Punkt bis oberhalb der Stâna din Pietricica, dann rotes Kreuz, 3 ½ - 4 ½ Stunden). Ein anderer, etwas längerer Weg beginnt auch in Predeal, führt nahe der Susai-Hütte vorbei zur Stâna din Pietricica von wo man entweder zum Gipfelplateau weitersteigt (rotes Kreuz, 4 ½ - 5 ½ Stunden) oder aber auf einem direkten Weg (blaues Dreieck) in ¾ Stunden zur Hütte gelangen kann.
Aus Tömösch kann man auch aufsteigen, und zwar an dem Tamina-Felsen vorbei (rotes und blaues Band, die nach dem Wasserfall auf verschiedenen Routen zum Gipfel führen, 3 ½ - 4 ½ Stunden); besser eignet sich dieser Weg allerdings für den Abstieg.
Von Dâmbul Morii aus gibt’s gleich vier Wege zur Hohenstein-Hütte. Der bequemste ist der Familienweg, den auch ältere Semester benützen können (rotes Band, 2 ½ - 3 Stunden). Gerne begangen wird der Leiterweg („Şapte scări“; gelbes Band, 3 – 3 ½ Stunden), seltener seine Variante, die durch die Bärenschlucht die Verbindung zum Familienweg herstellt (blaues Dreieck, 1 Stunde); vielleicht sieht man in der Benennung ein böses Omen.
Empfehlenswert wäre auch der Zigeunerweg (roter Punkt bis in die Nähe der Eishöhle, dann blaues Band, 4 – 4 ½ Stunden), doch besser geht man ihn bergab, denn er ist streckenweise sehr steil. Und zwar genau in seinem interessantesten Abschnitt, dort, wo er an einer zum Teil sogar überhängenden Felswand entlangführt. Der vierte Weg, der bei Dâmbul Morii beginnt, führt zunächst zur Bolnok-Hütte (blaues Dreieck, 1 ½ Stunden; Fahrweg); hier trifft er den Weg, der von Săcele kommt (blaues Band, 1 – 1 ½ Stunden). Weiter geht’s über den Bolnok-Gipfel, an der Eishöhle vorbei zur Hohenstein-Hütte (von der Bolnok-Hütte: blaues Band, 3 – 3 ½ Stunden).
Der Weg von der Hütte bis zum Gipfel (rotes Band, etwa ¾ Stunden) ist besonders eindrucksvoll, da er durch eine felsige Landschaft führt, in der man sich wie in den Ruinen einer Zyklopenburg vorkommt, außerdem bietet er schon bis zum Plateau und dort erst recht lohnende Ausblicke nach allen Seiten. An klaren Tagen kann der Blick weit in die Ferne schweifen.
Zum Abschluss noch ein Vorschlag: eine Tagestour, die man sogar noch Anfang Oktober (also an einem schon ziemlich kurzen Tag) schaffen kann. Am Anfang und am Ende der Tour steht je ein Erlebnis in engem Felsspalt. Es sind aber nicht die einzigen Höhepunkte dieses Wandertages, der in Dâmbul Morii – in 700 m Höhe gelegen – beginnt. (Der Bahnhof gleichen Namens liegt in der Nähe, Strecke Predeal – Braşov, es halten nur Lokalzüge. Auf der Autostraße verkehren zwischen den genannten Ortschaften regelmäßig Busse; eine Haltestelle ist bei der Hütte Dâmbul Morii.)
Der Weg (Leiterweg – gelbes Band) führt – sanft ansteigend – ziemlich weit in ein breites Tal hinein. Plötzlich steht man vor einer hohen Felswand, in der ein Spalt klafft. Aus diesem kommt uns ein munteres Wässerchen entgegen. Drin aber hört man es tosen und brausen. Es ist die letzte Stufe einer ganzen Reihe von Kaskaden, an denen entlang es nun aufwärts geht. Also hinein in den düsteren und feuchten Spalt! Steile Leitern und schmale Stege sind die einzige Möglichkeit, hier durchzukommen. So ein Weg ist zwar nicht jedermanns Sache, zumal man an manchen Stellen auch durch Sprühregen hindurch muss, aber mit etwas Mut und Überwindung schafft man es schon. Stellenweise empfindet man die Enge als erdrückend und schaurig, vermisst die Sonne, sucht Trost in dem schmalen Streifen blauen Himmels irgendwo hoch oben. Andererseits – dieser Kamin ist grandios.
Ist man endlich hindurch, hat man das obere Ende des Kamins glücklich erreiht, wird der Weg wieder breiter und führt durch Mischwald ziemlich direkt zur Hütte (1630 m). Hier kann man sich eine wohlverdiente Ruhepause gönnen und auch essen. Allerdings – viel Zeit hat man nicht, und der Gipfel lockt. Bis hin gibt’s allerhand zu sehen und oben muss man eine weitere Wanderpause einlegen, denn der Rundblick ist einfach überwältigend.
Auf dem mit blauem Band markierten Weg geht’s nun bergab. Der Pfad ist gut, wenn die Zeit drängt, kann man sogar laufen. (Wer’s eilig hat, kann in 1 ½ Stunden unten sein.) Besser ist es allerdings, seine Zeit so einzuteilen, dass man auch dem letzten Teil der Tour die ihm gebührende Aufmerksamkeit widmen kann. Bald gelangt man an ein Wässerchen, das neben dem markierten Weg in einer Klamm verschwindet. Wir sind bei den Tamina-Felsen.
Man kann an der Klamm vorbeigehen und direkt absteigen. Man soll aber nicht, man sollte sich das Erleben auch dieser Felsenenge nicht entgehen lassen. Sie ist in jeder Hinsicht die kleinere, weniger imposante Schwester der „Leiterschlucht“, dennoch beeindruckend und unbedingt sehenswert. Und noch etwas ist hier sehenswert: die Aussicht vom Tamina- Felsen. Nicht weit vom Einstieg in die Klamm führt ein kurzer Pfad ziemlich steil hinauf auf eine kleine, eingezäunte Felsplattform. Unter uns ein tiefer Abgrund, irgendwo weit unten dichter Tannenwald. Wer nicht schwindelfrei ist, soll lieber nicht hinuntersehen, sondern das Panorama genießen, das sich einem von hier aus, womöglich kurz vor Sonnenuntergang, bietet.
Ein letzter, etwa halbstündiger Abstieg, der einen nicht nur ins Tömösch-Tal bringt, sondern auch zurück aus den höheren Regionen, in denen man geschwebt und geschwelgt hat – und schon ist der schöne Ausflug Vergangenheit. Aber eine Vergangenheit, von der wir uns schwer lösen.

(Verlag Neuer Weg, Bukarest - Komm Mit 73, S. 176 – 179)

Seite Bildunterschrift
 
177 Felsengruppe unterhalb des Hohenstein-Gipfelplateaus.
178 Hier kann nur das Wasser leicht durch (Einstieg in die Leiterschlucht).
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